Bewertungen sind etwas höchst alltägliches: Ob Blumenkohlbratling oder Rindersteak zum Mittagessen, ob es heute heiß, warm, lau, kühl oder kalt ist, ob der MAC oder der PC der bessere Computer ist, all dies kann Gegenstand von Bewertung sein - häufig zum Zwecke der Entscheidungsvorbereitung.
Diese Bewertungsvorgänge sind in hohem Maße subjektiv und von
vielerlei Randbedingungen abhängig. Das Ergebnis des jeweiligen
Bewertungsvorgangs kann
bestenfalls mit statistischer Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden. Individuen
können unter identischen Gegebenheiten zu unvereinbaren Bewertungen
kommen,
die oft nicht von der 'höheren Warte der Objektivität' aus als
'besser' oder 'schlechter' klassifizierbar sind.
Bei Entscheidungen, die einen Gruppenkonsens erfordern, ist diese
Subjektivität ein Faktor, der den Bewertungsvorgang u.U. erschwert und
zu Konflikten
beitragen kann.
Die Entwicklung einer 'wissensbasierten Bewertungskomponente' soll ein Beitrag sein, konsensuale Bewertungen in (wissenschaftlichen) Gruppen zu fördern. Dabei kann es jedoch nicht Ziel sein, Bewertungen zu objektivieren oder sie gar mit Computerhilfe 'automatisch' vorzunehmen. Mit der Entwicklung des 'Werkzeugs' Bewertungskomponente wird angestrebt, Bewertung nachvollziehbar und die Folgen getroffener Entscheidungen sichtbar zu machen. Dies ist eine Voraussetzung, um die Einigung auf eine gemeinsam getragene Bewertung zu erleichtern bzw. Wertkonflikte so frühzeitig offenbar werden zu lassen, daß Lösungswege gesucht werden können.
Einige grundsätzliche Thesen zu Bewertung:
Es wurde bereits angeführt, daß es bei der Entwicklung eines Bewertungssystems erforderlich ist, so gut wie möglich zwischen "Bewertungszusammenhängen" und "Wirkungszusammenhängen" zu unterscheiden. Mit dem WAVES-Kausalmodell wurden auf der Ebene der "Wirkungszusammenhänge" Ergebnisse vorgelegt; in der weiteren Bearbeitung sollten nun die "Bewertungszusammenhänge" im Vordergrund stehen.
Zum Zeitpunkt des hier vorliegenden Projektberichts kann noch kein
abschließender Verfahrensvorschlag für eine Bewertungskomponente
vorgestellt werden.
Dennoch halten wir es für sinnvoll, den Bewertungsvorgang durch eine
Formalisierung - eine 'Spielregel' - zu strukturieren, die unter den Beteiligten
verbindlich
vereinbart wird. Vorläufig stellen wir dafür folgendes Ablaufschema
zur Diskussion:
4.1 Entwurf eines Ablaufschemas für Bewertungsverfahren
Arbeitsschritt | Gegenstand / Vorgehensweise | Beispiel / Erläuterung |
Ausgangspunkt | eine beliebige Frage-/Problemstellung
oder zu treffende Entscheidung
=> gegebener Anlaß | |
Sichtweise ('Geschichte') | möglichst alle Beteiligten
sollten kundtun, aus welchem
Betrachtungswinkel sie das Problem angehen wollen (dadurch entsteht
u.U. eine Erweiterung oder aber eine Konkretisierung des
Bewertungsproblems)
=> individuelle Entscheidung | mögliche Sichtweisen:
naturwissenschaftliche sozialwissenschaftliche nationalökonomische frauenpolitische etc. |
Gegenstandsbereich | auf dieser Grundlage wird, anhand
von festzulegenden Aspekten, die bei
der Bewertung eine Rolle spielen, der Gegenstandsbereich der Bewertung
definiert, etwa als Rekonstruktion kausaler Beziehungen => Aushandlungsprozeß Die Gesamtheit der Kausalbeziehungen spannt u.U. einen Konfliktraum auf (Zielkonflikte) | diese Aspekte muß man berücksichtigen, wenn alle Sichtweisen eine Rolle spielen sollen |
Kriterien | für die einzelnen Aspekte
müssen Kriterien festgelegt werden, die die
Ausprägung der Aspekte abbilden => Aushandlungsprozeß die oben angeführten Kriterien können durchaus
nichtlinearen
Charakter haben; | hierbei wird sich zeigen, daß Kriterien sehr unterschiedlichen Gehalt haben und sich ihr "Wert" nicht immer genau bestimmen läßt, z.T. sind sie genau definiert, andere umreißen eine ganzes Themengebiet; u.U. ist es notwendig, Indikatoren für die Kriterien zu definieren |
Optimum | für jedes Kriterium (auf
welcher Ebene auch immer) sollte
gruppen-konsensual ein Wert ermittelt werden, bei dessen Erfüllung die
beste Lösung gefunden oder der beste Zustand erreicht wird => Aushandlungsprozeß treten unvereinbare Widersprüche bei Kriterien auf, die bei der aggregierenden Gewichtung eine mittlere bis hohe Wertschätzung erfahren haben, müssen die Extremwerte festgehalten werden, damit sie bei der Bewertung Berücksichtigung finden | das Kriterium ist (zu 100%)
erfüllt,
wenn der Wert erreicht ist gegebenenfalls muß je eine Bewertung mit den gegenläufigen Optima abgegeben werden |
Begrenzungen | für jedes Kriterium können
zusätzlich Unter- und Obergrenzen festgelegt
werden, ab der die Erfüllung inakzeptabel ist => Aushandlungsprozeß | "wenn das zulässig ist, wird für mich jede Entscheidung untragbar" |
Aggregation | ist ein Punkt erreicht, an dem
alle Beteiligten kundtun, daß ihre
wesentlichen Interessen / ihr Wissen Berücksichtigung finden, muß
abgewägt werden, wie stark die einzelnen Kriterien in die Bewertung
eingehen sollen; dabei sind als 'Zwangsbedingungen' die Gegebenheiten
des Kausalnetzes zu beachten => Aushandlungsprozeß | "das eine ist mir wichtiger als
das
andere" "die Erfüllung des einen Zieles tritt in Konflikt zu der Erfüllung eines anderen" |
Systemkriterien | höher aggregierte Kriterien,
die sich aus der Verknüpfung von
Einzelkriterien ergeben. Systemkriterien sind in der Regel abstrakter und
meist nichtlinear; in ihrer höchsten Ausprägung stellen sie Leitwerte
dar => Aushandlungsprozeß | z.B. Lebensqualität, nachhaltige Entwicklung |
Für spätere Arbeiten in Richtung "Bewertungsverfahren" wäre es hilfreich, diese Regeln an einem (künstlichen) Beispiel durchzuspielen.