* Der Begriff Taxonomie wird nach ARNOLD et al. (1991, S. 61) wie folgt definiert: "Taxonomie, [griech. Taxon = Art (Pl. Gattung, Familie)] gilt als Zweig der Systematik. Sie ist die Wissenschaft und Lehre vom praktischen Vorgehen bei der Einordnung von Objekten in systematische Kategorien. Als Taxonomisches Modell bezeichnen wir die schematische und logische Abbildung der Sammlung von Begriffen und ihren Bewertungen zu einem Themenkomplex.
1.2 Ziele des Projektes
* Der Gegenstandsbereich umfaßt die Gesamtheit der Begriffe im Zusammenhang mit Wasserverfügbarkeit und Migration im Nordosten Brasiliens. Dabei meint "Begriff" nicht nur dingliche Komponenten (z.B. Niederschlag, Wasserversorgungssystem oder Tiefbrunnen), sondern auch Prozesse und Handhabungen, die in diesem Zusammenhang stattfinden (z.B. soziale und wirtschaftliche Drucksituation, Seßbarmachung oder staatliche Hilfsprogramme), sie beziehen sich ebenso auf vorgefundene Strukturen (z.B. Landbesitz, Sozialsystem einer Fazenta oder wirtschaftliche Strukturen), wie sie auch bestehende rechtliche und politische Bedingungen charakterisieren (z.B. Naturschutzgesetzgebung, Ses-Marias-Recht oder Präsidialsystem).
1.3 Durchgeführte Arbeiten und Vorgehensweise
Wissenserhebung: Im Rahmen der Kooperation mit dem WAVES-Projekt wurden mit Wissenschaftlern aus vier Projektteilbereichen Experteninterviews durchgeführt.
Wissensstrukturierung: Die Ergebnisse der Interviews stellten die Grundlage einer Begriffsanalyse dar, bei der es zunächst um das Erkennen und die Formulierung von begrifflichen Bedeutungen und Zusammenhängen ging. Sie diente als Basis für die Entwicklung eines Kausal-Modells vor dem Hintergrund sozioökonomischer Prozesse in Abhängigkeit zu den natürlichen Gegebenheiten im Nordosten Brasiliens (Gegenstandsbereich).
Wissenspräsentation: Eine ausschließlich zweidimensionale Wissenspräsentation in Tabellenform - wie sie im ersten Projektbericht gewählt wurde - erwies sich als wenig geeignet, die komplexen Zusammenhänge und Rückkoppelung abzubilden. Gerade die Vielschichtigkeit der Begriffe und ihrer Bezüge untereinander machte es notwendig, andere Darstellungsformen zu suchen. Mit dem Einsatz eines Hyper-Text-Systems wurde versucht, diesen Ansprüchen zu entsprechen.
1.3.1 Wissenserhebung
Die befragten Wissenschaftler wurden im Rahmen der Interviews aufgefordert, alle Themen und Aspekte zu benennen, die aus ihrer Sicht im Zusammenhang mit Wasserverfügbarkeit und Migration im brasilianischen Bundesland Piauí von Interesse sind. Die Interviews wurden als offene problemzentrierte Gespräche geführt.
Die Funktion, als Laie aufzutreten, erfüllt zwei Aufgaben: einmal die möglichst ungefilterte Wissensaufnahme und zum anderen die möglichst nicht fachgebietsspezifische Wissenswiedergabe. Insgesamt besteht die Rolle der Bearbeiter eher in der Moderation des Kommunikationsprozesses zwischen den Disziplinen zur Erlangung eines Bewertungssystems als selbst als Experten aufzutreten; wenn dieser Prozeß selbstverständlich auch bewirkt, daß die Bearbeiter in gewisser Weise kundig werden, was u.U. dazu führt, daß auch gegenläufige Entwicklungen zwischen Experten und Laien entstehen
Von seiten der Interviewerinnen wurde nur spontan nachgefragt bzw. Verständnisfragen gestellt; ein Gesprächsleitfaden lag nicht vor. Auch wurde darauf verzichtet, daß sich die Interviewerinnen in dem Themenkomplex kundig machten. Sie sollten als "Laien" möglichst unvoreingenommen das Wissen der Experten zusammentragen.
Ergänzend zu den Interviewmitschriften wurden die Gespräche mittels Tonband aufgezeichnet.
Nachdem die Gespräche transkripiert und ausgewertet waren, bekam der jeweilige Experte ein Exemplar der schriftlich fixierten Auswertung seines Gesprächs zugesandt, das er korrigieren bzw. ergänzen sollte.
1.3.2 Wissensstrukturierung
Anhand der Interviewprotokolle wurde eine vorläufige Skizzierung
des Gegenstandsbereiches vorgenommen. Es wurden Begriffe herauskristallisiert,
die u.E. geeignet erschienen, den noch schwach definierten Gegenstandsbereich
beschreiben und eingrenzen zu können. (Diese Ergebnisse wurden im
Frühjahr 1996 anhand des WAVES-Statusberichtes ergänzt.)
Zunächst erfolgte eine grobe thematische Ordnung der von den Experten
benannten Begriffe. Mit dieser thematischen Aufteilung der Gesamtheit der
Begriffe fand eine erste Strukturierung durch die Bearbeiterinnen des Modells
statt. Dies stellte sich insofern schwierig dar, als sich das Thema insgesamt
sehr komplex gestaltet und es sich zeigte, daß viele Begriffe und
Zusammenhänge wenig selbsterklärend sind und so einer ausführlicheren
Erläuterung bedürfen.
Es wurden fünf inhaltliche Gruppen gebildet, denen die einzelnen Begriffe und Aspekte zugeordnet wurden:
Der Gruppe Wanderungsbewegung wurden die Begriffe: Migration, Seßbarmachung, Bevölkerungszahl,Neben der Erläuterung der einzelnen Begriffe wurden die Beziehungen
zu anderen Aspekten erläutert und eine Übersichtsdarstellung
entworfen, die die bislang gefundenen Kausalbeziehungen des WAVES-Projektes
aufzeigt.
Das Kausalmodell steckt den Gegenstandsbereich ab und klassifiziert
die Kausalbeziehungen zwischen den einzelnen Elementen nach Ursache und
Folge in vier Kategorien: als verstärkende (+), mindernde (-), unklare
Wirkungen (?) sowie Wirkungen, die komplexeres Verhalten zeigen (~) - beispielsweise
wenn in Abhängigkeit des Wertes einer Komponente die Wirkung sowohl
verstärkend als auch mindernd wirken kann.
1.3.3 Wissenspräsentation
Die Strukturierung und das Kausalnetz wurden den beteiligten Experten und weiteren interessierten Personen als WWW-Dokumente im Internet zur Verfügung gestellt. Von der Übersichtsdarstellung des Kausalnetzes kann mittels eines 'Link' auf die jeweilige Hyper-Textseite gewechselt werden.
Dieses Hyper-WAVES-System bietet neben einer Übersichtsdarstellung in grafischer sowie tabellarischer Form und detaillierteren Textseiten, die miteinander über Hyperlinks verbunden sind, die Möglichkeit der Rückmeldung an unser Team.
Dadurch ist eine Einflußmöglichkeit auf das bestehende System in Form von Kritik, Änderungswünschen, Nachfragen, Anregungen etc. gegeben. Das Kausalnetz ist also nicht statisch, sondern paßt sich - soweit die Experten mitarbeiten - dynamisch dem jeweiligen Diskussionstand an und spiegelt ihn idealerweise dadurch wider.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt werden diese Modifikationen durch unser Projektteam moderiert. In einer Liste, die über den Button "What's new?" zu erreichen ist, können die Änderungen abgefragt werden.
Ferner wurde ein Diskussionsforum eingerichtet, das für die Diskussion aktueller projektinterner Fragestellungen zur Verfügung steht. Hier können die Projektteilnehmer perspektivisch direkt ihre Anmerkungen etc. einfügen.
Home Page | Übersichtsgraphik | Matrix-Button | Mail-Button | What's New - Button | Diskussionsforum-Button |
Wie bereits oben aufgeführt ist es bei der Entwicklung eines Bewertungssystems notwendig, zwischen "Bewertungszusammenhängen" und "Wirkungszusammenhängen" so gut wie möglich zu unterscheiden:
Wurde bislang stärker auf der Ebene von " Wirkungszusammenhängen"
gearbeitet, sollten in der weiteren Bearbeitung die "Bewertungszusammenhänge"
im Vordergrund stehen (vgl. hierzu das Kapitel 4
zum Bewertungsverfahren).
Der beschriebene Zugang ist vergleichbar mit dem "bottom-up"-Verfahren
in der Programmiertechnik. Es wurde auf unterster Ebene angefangen, um
von dort aus mittels Abstrahierung auf die nächst höhere Ebene
zu kommen. Um den Gegenstandsbereich näher einzugrenzen, wurde daneben
- analog zum "top-down"-Ansatz - versucht, auf der Basis der Interviews
auf Kriterien, Indikatoren und Leitvorstellungen der Experten zu schließen
(vgl. Anhang 4). Diese Arbeiten sollen fortgeführt
werden.
Ein weiterer Schritt kann die systemtheoretische Modellbildung mit dem
Ziel einer dynamischen Simulation des Gesamtsystems sein. Dazu ist es notwendig,
die Kausalbeziehungen exakter zu fassen und letztendlich zu quantifizieren.
Hierfür wurden während der Projektlaufzeit notwendige Vorarbeiten
geleistet: So wurde z.B. die Klassifikation der Kausalelemente bezüglich
Bezugsgrößen, Zustandsgrößen und Raten in vorläufiger
Weise vorgenommen und in Tabellen dokumentiert (vgl. Anhang 1).
Im folgenden soll kurz erläutert werden, wie die genannten Begriffe in unserem Zusammenhang verstanden werden.
Zustandsgrößen - Raten: Diese beiden Begriffe werden
jeweils nur in Bezug zu anderen Größen verwendet. Der Begriff
'Rate' kennzeichnet dabei 'Zu- und Abflüsse' zu einer Zustandsgröße
- der Begriff 'Zustandsgröße' ist dementsprechend eine 'Speichergröße',
die sich aus den 'Zufluß'-Raten abzüglich der 'Abfluß'-Raten
'speist'.
Raten lassen sich errechnen, indem die mit ihnen verknüpften Größen
ein- oder auch mehrmals differenziert werden. Zustandsgrößen
errechnen sich entsprechend aus dem (ein- oder mehrfachen) Integral der
mit ihnen verknüpften Größen.
So ist z.B. die Bevölkerungszahl im Verhältnis zur Migration
eine Zustandsgröße, die wiederum in Bezug zur Seßbarmachung
eine Zustandsgröße darstellt. Migration ist also eine Rate,
die für die Änderung der Bevölkerungszahl sorgt. Seßbarmachung
ist - bei Erfolg - die Rate, mit der die Migration allmählich zurückgeht.
Über diese Kausalverbindung ist Seßbarmachung in Bezug auf Bevölkerungszahl
eine Rate zweiter Ordnung.
Neben diesen Zusammenhängen gibt es natürlich auch rein algebraische
Verknüpfungen - beispielsweise zwischen Bevölkerungszahl und
Wassergebrauch. Auf diese trifft die vorgenannte Klassifikation nicht zu.
Weiterhin sind einige Begriffe zu umfassend oder unscharf, um eine eindeutige
Aussage über die Art der Verknüpfungen treffen zu können.
Soll eine systemtheoretische Annäherung an den Gegenstandsbereich
mit Hilfe von Simulation geschehen, muß eine genauere Spezifikation
der Verknüpfungen in einem späteren Schritt geleistet werden.
Obwohl sich exakte und eindeutige mathematische Formulierungen wohl nur
in wenigen Ausnahmefällen finden lassen, kann unserer Ansicht nach
der Versuch, zumindest Teilsysteme mit Simulationsmethoden zu bearbeiten,
auch zu neuen Erkenntnissen über den Gegenstandsbereich führen.
Die von uns getroffene Klassifizierung stellt dafür einen ersten
Schritt dar, da es für eine systemtheretische Betrachtung von elementarer
Bedeutung ist, ob eine Verknüpfung algebraisch oder durch eine Differentialgleichung
beschrieben wird.
Bezugspunkte: Im Verlauf des Absteckens des Gegenstandsbereichs sind Begriffe aufgefallen, die im Gegensatz zu den anderen 'Bollern' sich nicht dynamisch unter dem Einfluß von anderen Größen verändern, sondern sich ohne Eingangsgrößen relativ statisch verhalten. Sie kennzeichen oft Grenzwerte wie z.B. das physische Existenzminimum, deren Über- oder Unterschreiten zu einem gänzlich anderem Systemverhalten führen wird. Diese Bezugspunkte sind allerdings oft gerade nicht punktförmig scharf definierbar, sondern sind unscharf und zum Teil mit 'Verzögerungen' und 'Totzeiten' behaftet.
Beispielsweise gibt es einen Bezugs"punkt" des täglichen Kalorienbedarfs, der für jeden Menschen etwas unterschiedlich ist und der schon einmal für wenige Wochen ohne negative Auswirkungen auch deutlich unterschritten werden darf, beispielsweise beim Fasten, der aber eine Grenze darstellt unterhalb derer, langfristig die physische Existenz des Systems Mensch durch Verhungern in Frage gestellt wird. Insofern bilden die Bezugspunkte einen aus dem System heraus nicht beeinflußbaren Rahmen, der für bestimmte systeminterne Größen Grenzen setzt.
Die Einteilung in Zustandsgrößen und Raten ist eine Voraussetzung für eine evtl. später zu erstellende numerische Simulation.